Gedenkstunde zum Volkstrauertag 2008 (21.11.08)

Rubrik:

Veranstaltungen

Herausgeber:

Gemeinde Oftersheim - Standesamt

Ort:

Friedhof

Volkstrauertag 2008

Volkstrauertag 2008

Mit dem Glockengeläut der evangelischen Kirche wurde die Gedenkfeier des diesjährigen Volkstrauertages eröffnet, zu der Bürgermeister Helmut Baust am vergangenen Sonntag alle Mitbürgerinnen und Mitbürger in die Friedhofshalle geladen hatte.
 
Nach einleitenden Worten der Begrüßung verdeutlichte das Gemeindeoberhaupt die Bedeutung des Volkstrauertages. „Der Volkstrauertag ist ein stiller Gedenktag. Er gibt der Trauer Raum, er lässt innehalten, zum Nachdenken über die Toten und das, was ihr Tod uns heute sagt.“ Baust brachte in seiner Rede zum Ausdruck, nie zu vergessen was war, aber sich auch darüber bewusst zu sein, wie gut es uns in unseren Kreisen geht, wo doch in anderen Teilen der Welt blutige Auseinandersetzung und Unterdrückung Alltag seien.
 
Auch in diesem Jahr wurde die Gedenkansprache durch Herrn Friedrich Vobis gehalten, die wir im Nachgang in vollem Umfang abgedruckt haben.
 
Musikalisch umrahmt wurde die Feier durch die Beiträge des Musikvereins mit „Die Himmel rühmen“, „Ich bete an die Macht der Liebe“ und dem bekannten Stück „Ich hatt’ einen Kameraden“ unter der Leitung von Dirigent Valentin Demeshko. Der Chor des Gesangvereins Germania geführt durch André Erben sang die Lieder „Requiem Aeternam“ und „Ave Verum“.
 
Schülerinnen und ein Schüler der Klasse 9a der Theodor-Heuss-Schule brachten sich mit Gedichtvorträgen zum Thema „Frieden“ ein, die mit ihrer Lehrerin, Frau Hillebrandt-May, einstudiert wurden.
 
Im Anschluss an die Feierstunde fand durch Bürgermeister Baust, dem VdK und der Marinekameradschaft die Kranzniederlegung am Ehrenmal statt. In stillem Gedenken hielten die Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr, des Deutschen Roten Kreuzes und der Marinekameradschaft Ehrenwache.
 
An dieser Stelle sei nochmals allen Mitwirkenden zum Gelingen der diesjährigen Gedenkfeier anlässlich des Volkstrauertages gedankt.
 
 

Ansprache von Herrn Friedrich Vobis zum Volkstrauertag 2008

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Teilnehmer an der diesjährigen Gedenkfeier zum Volkstrauertag.

 
Das Titelbild des Mitteilungsblattes unserer Gemeinde zeigt das Gesicht eines Mannes, eines Soldaten mit Mütze, Gummiband an der Brille, leichtem Bart und trotz erkennbarer Not mit einem gepflegten Aussehen. Der Mann schaut uns an, klar und deutlich, nicht aufdringlich, nicht besser wissend, nicht verachtend oder verzweifelt, aber irgendwie wissend, nachdenklich, überlegen. Vermutlich hat dieser Soldat das Ende des schrecklichen Krieges nicht mehr erlebt.
Seine Augen fragen mich: Was denkst Du, Fritz Vobis, über mich? Was denkst oder fühlst Du, jetzt nach mehr als zwei Generationen seitdem dieses Foto gemacht wurde? Und du, meine liebe Frau, und ihr, mein Sohn und meine Tochter, meine Enkel und Urenkel, was denkt ihr über mich und meine Zeit? Denkt ihr noch an mich? War ich selber schuld an meinem Schicksal? War ich dumm oder zu feige, um mich gegen den Krieg, diesem absurden Morden und Hassen, zu wehren, ja, ihn einfach nicht mitzumachen? Fragt mich nicht nach einer Antwort, ich kann sie euch nicht mehr geben. Fragt euch selbst und denkt darüber nach.
Je weiter wir von jener schlimmen Zeit entfernt sind, desto schwieriger wird es, eine gültige Antwort auf die fragenden Augen dieses Mannes zu finden. Ein persönliches Beispiel soll das erläutern: Als ich geboren wurde, war der 70/71er Krieg des 19. Jahrhunderts zwischen Deutschland und Frankreich schon bald vergessen. Der 1. Weltkrieg gerade 10 Jahre vorbei. Zwei Brüder meines Vaters waren gefallen, ihre Gebeine liegen irgendwo in Europa. Ich habe sie nie gekannt, Fotos waren damals Mangelware, wie könnte ich mich in ihre Situation hineinversetzen? Und jetzt haben wir wieder mehr als 60 Jahre Abstand vom letzten Krieg. So frage ich heute Sie, verehrte Zuhörer, die vielleicht 10, 20, 30 Jahre nach 1945 geboren wurden, oder sogar unsere 20jährigen, was denken Sie beim Betrachten dieses Bildes? Kann man von Ihnen verlangen, sich Gedanken zu dieser Frage zu machen? Was denken Sie über diesen pflichtbewussten Mann, der keine Chance hatte, aus einem System auszusteigen ohne seinen sicheren Tod zu provozieren, der eingebunden war in einen Ablauf, in ein Zeitgeschehen, das er nicht beeinflussen konnte.
 
Im Geleitwort zum heutigen Tag schreibt der Präsident des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge u. a.:
"In der Erinnerung an die Kriege des 20.Jahrhunderts setzen wir uns mit dem Verlust von unvorstellbar vielen Menschen auseinander. Unsere Gedanken sind bei den gefallenen Soldaten, den Kriegsgefangenen, den Opfern der Gewaltherrschaft, der Bombenangriffe, der Flucht und Vertreibung.
Indem wir bewusst zu Trauer und Mitgefühl bereit sind, spüren wir, wie wir mit diesen Menschen verbunden sind. Ob wir sie gekannt haben oder nicht. Ob wir mit ihnen verwandt sind oder nicht. Die Toten der beiden Weltkriege und der nationalsozialistischen Diktatur sind Teil der deutschen Geschichte und gehören zu unseren Wurzeln. Wenn wir diese Menschen vergessen oder die Erinnerung an sie verdrängen, wenn wir nicht nach den Ursachen all des menschlichen Leids fragen und ihr Schicksal nicht als Mahnung zur Friedfertigkeit begreifen, dann werden wir mit uns selbst nicht ins Reine kommen. Dabei erinnert der Volkstrauertag nicht nur an das eigene Leid, sondern schließt immer auch das Gedenken an die Opfer der anderen Staaten mit ein. Auch die Gedenktage unserer Nachbarn sind fester Bestandteil ihrer jeweiligen nationalen Identität. In ihnen manifestiert sich das öffentliche Verständnis von der Rolle, die die Nationen in der Geschichte des 20sten Jahrhunderts einnahmen: Sehen sie sich als Opfer oder Befreite - durch andere oder durch sich selbst?  
Angesichts der verheerenden Folgen der beiden Weltkriege und unter dem Druck der aktuellen Herausforderungen wuchs in Europa die Einsicht in die Notwendigkeit einer gemeinsamen Politik. Seit mehr als 50 Jahren ist die Europäische Gemeinschaft ein äußerst erfolgreiches Bündnis von Staaten, die friedlich und gleichberechtigt miteinander leben." Soweit ein Auszug aus dem Geleitwort.
Wir befinden uns heute mitten in einem langwierigen Prozess einer gegenseitigen europäischen Versöhnung. Mit der Überwindung der Spaltung im Jahre 1989 kann jetzt die Verantwortung für den Frieden das ganze Europa umfassen. Diese Chance muss aber immer wieder erkannt, wahrgenommen und in die Realität umgesetzt werden. Diese Chance im Einklang mit unserer Kultur in die Realität unseres Alltags einzubauen, ja sie einzuordnen in  alles, was uns Menschen wichtig erscheint, ist unsere große Aufgabe. Dass der Frieden aus sich heraus nicht der Normalfall ist, haben wir im Sommer dieses Jahres am Geschehen am Kaukasus von ferne miterlebt. Wie schnell Empfindungen, Stolz, echte und vermeintliche Rechte zu Meinungsverschiedenheiten und sehr schnell eskalierend zu Spannungen führen können, wurde uns wieder einmal klar vor Augen geführt. Oft können diese nur noch mit größter Anstrengung begrenzt und wieder abgebaut werden. Und täuschen wir uns nicht: Noch gärt mancher Egoismus, manche Rachsucht unter uns und manchen europäischen Völkern. Aussöhnen, sich miteinander versöhnen, ist ein schwieriger Prozess. Vergeben und trotzdem nicht vergessen, bedarf großer Mühe und Selbstüberwindung, obwohl ein solches Verhalten für die Betroffenen in der Regel die bessere Konfliktlösung darstellt. So muss Frieden immer neu errungen werden, um ihn bewahren zu können.
Der VDK spielt bei all diesen Bemühungen eine zentrale Rolle. Es geht nicht nur darum, den Kriegsopfern eine würdige Gedenkstätte oder ein ehrendes Andenken zu schaffen, sondern aus der Trauer heraus eine bleibende Erinnerung und Mahnung entstehen zu lassen. Auch wenn unsere jüngeren Mitbürger keine persönliche Beziehung zu einem Gefallenen mehr haben können, so haben wir Älteren die Pflicht, unsere Gedanken, unsere Erfahrung an sie weiter zu geben, damit sie sich nicht in Geschehnisse hineinziehen lassen, die sie am Schluss nicht mehr beeinflussen können, sondern nur noch zu Opfern der Geschichte werden.
Denken wir heute darüber nach, wer Geschichte, deren Teil und Teilnehmer wir ja sind, macht und gemacht hat. Waren es die großen Führer, diese Marionetten eigenen Machtstrebens, oder die vielen Millionen Einzelner, die in gut gemeinter "Pflichterfüllung" ihr Leben aufs Spiel gesetzt und es verloren haben, um dann als Namenlose irgendwo in der Erde zu versinken? Sorgen wir dafür, dass sie geistig nicht versinken, stellen wir uns dem Blick des eingangs erwähnten Soldaten, dessen Augen uns fragen: "Was denkt ihr Alten und Jungen über mich, jetzt, mehr als 60 Jahre danach?"  Ihr, denen ich wünsche, nie in Kriegshandlungen verwickelt zu werden, um immer in Frieden leben zu können!