Polizei und Experten des ADAC haben bundesweit kontrolliert, ob Eltern ihre Kinder im Auto anschnallen – mit erschreckenden Ergebnissen (30.10.08)

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Die Polizei Baden-Württemberg informiert

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Polizei Baden-Württemberg

 

Wenn es darum geht, sein Kind möglichst sicher im Auto zu verstauen, ist die Auswahl groß. Es gibt Sitzkissen und Seitenkopfstützen, Fangtische und Fünfpunktgurtsysteme. Junge Eltern können sich stundenlang über die Nachteile von Babywannen (bis 10 Kilo) gegenüber Babyschalen (bis 13 Kilo) unterhalten, und das ist erst der Anfang. Im Laufe der Jahre wird noch über die Anschaffung eines Schalensitzes (bis 18 Kilo) und einer Sitzerhöhung mit Rückenlehne (bis 36 Kilo) zu reden sein.
 
Umso irritierender sind die Ergebnisse einer Studie des ADAC. Wochenlang haben sich die Verkehrsexperten gemeinsam mit der Polizei vor Schulen und Kindergärten in 16 Städten postiert. Das Ziel war, sich erstmals bundesweit einen systematischen Überblick darüber zu verschaffen, wie es im Auto von Papa und Mama wirklich aussieht, wenn die Kinder an Bord sind.
 
Das Ergebnis der Untersuchung will der ADAC in Kürze präsentieren: Es fällt erschreckend aus. Dem Urteil der Verkehrsexperten zufolge schwebt jedes dritte Kind, das mit dem Auto zur Schule gebracht wird, wegen mangelhafter Sicherung in Lebensgefahr. Auf dem Weg zu den Kindertagestätten ist laut ADAC-Studie jedes sechste Kind schlecht oder gar nicht gesichert.
 
Bisweilen konnten die Sachverständigen kaum glauben, was sie sahen, wenn vor den Augen der Polizei wieder einmal ein Vater mit gehetztem Blick viel zu schnell um die Ecke bog und in zweiter oder dritter Reihe vor dem Schultor einparkte. Einmal purzelten gleich fünf Kinder aus einer Limousine. Einen Gurt hatte keines benutzt; es wären ja eh nicht genug Anschnallmöglichkeiten für alle da gewesen. In einem anderen Auto stießen die Kontrolleure auf drei völlig ungesicherte Kita-Kinder. Sitze für die Kleinen waren durchaus vorhanden, lagen aber im Kofferraum. Die Mutter hatte die schweren Dinger eigens nach hinten gewuchtet, damit die Kinder im Fond mehr Platz bekamen.
 
Andere Eltern scheinen gerade frühmorgens noch überfordert zu sein, da schleichen sich Nachlässigkeiten ein. Nicht wenige Grundschüler lagern auf der Rückbank, womöglich um noch etwas Schlaf nachzuholen. In einem Fall saßen zwei Kinder ordnungsgemäß angeschnallt auf ihren Stühlchen, während das dritte Kind einen potentiell tödlichen Aussichtsposten zwischen den Vordersitzen eingenommen hatte, und zwar stehend. Laut ADAC-Bericht ist es auch gängige Praxis, dass Kinder im Auto den Tornister anbehalten. Viele Eltern schätzten offenbar den dadurch möglichen Sekundengewinn beim Ein- und Aussteigen, zumal mit dem Ranzen auf dem Rücken auch das Anschnallen meist wegfällt.
 
Unterm Strich, so das Fazit der Kontrolleure, sei die Zahl der gefährdeten Kinder weitaus größer als bislang angenommen. Insgesamt 37 Prozent aller Schüler und 17 Prozent aller Kindergartenkinder wurden "ohne die gebotene Sicherheit zur Schule gebracht", heißt es in dem Bericht. "Schon eine Vollbremsung könnte in einem solchen Fall schwere Verletzungen zur Folge haben!". Wie groß die Gefahr ist, geht aus der Unfallstatistik hervor. Zwar ist die Zahl verletzter oder gar tödlich verunglückter Kinder rückläufig. Doch wenn die Kleinen zu Schaden kommen, dann zumeist als Beifahrer. Die Mehrheit der Verkehrstoten unter sechs Jahren verunglückte nach ADAC-Angaben bei den Eltern im Auto.
 
Die Experten befürchten sogar einen Anstieg der Unfälle, weil es mehr und mehr in Mode kommt, die Kinder mit dem Auto zur Schule zu bringen, angeblich aus Sicherheitsgründen. In Wahrheit werden die besorgten Eltern selbst zum Risiko, auch weil sie zum allmorgendlichen Verkehrschaos vor den Schulen beitragen. In Berlin forderte die zuständige Senatorin die Eltern kürzlich wieder einmal vergebens auf, die Schüler möglichst nicht mehr mit dem Auto vorzufahren. Der ADAC will die Politiker dazu bewegen, sich des Themas anzunehmen. Die Kontrollen müssten verschärft und die Sicherheitsvorschriften erhöht werden, so die Forderung.
 
Verboten gehören nach Ansicht des ADAC zum Beispiel die primitiven Kissen, die viele Eltern ihren Kindern im Auto unterschieben. Formal genügen diese Sitzkeile den gesetzlichen Anforderungen, weshalb sie in dem ADAC-Bericht auch nicht zu den Sicherheitsrisiken gezählt werden. Bei einem Crash von der Seite jedoch bieten sie, so die Experten, den Kindern keinen Schutz. Das leuchtete dann auch den meisten Eltern ein, die bei der Untersuchung als Sünder ertappt wurden. Grundsätzlich sei man auf Verständnis gestoßen, heißt es im Bericht, zumal es die Polizei in der Regel bei einer Ermahnung beließ.
 
Ein Familienvater mit drei nicht angeschnallten Kindern im Auto kam freilich nicht so einfach davon. Angurten sei überflüssig, sein Wagen habe zwölf Airbags, schnauzte der Fahrer die Kontrolleure an. Die Polizei wollte sich dieser Ansicht aber nicht anschließen: Es gab 50 Euro Bußgeld und einen Punkt in Flensburg.
 
Von Alexander Neubacher, in der Ausgabe 43/2008 des Magazins „Der Spiegel“ vom 20.10.2008 veröffentlicht
 
 

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