Das Lumpenglöckchen

Das Lumpenglöckchen

Seit etwa 1710 hing ein Glöckchen, das so genannte Lumpenglöck­chen, für fast drei Jahrhunderte auf dem Oftersheimer Rathausturm. Man nannte es so, weil es nachts nach der Polizeistunde läutete, um die letzten Gäste zum Aufbruch zu mahnen. Es diente sowohl kirchlichen wie auch weltlichen Aufgaben und war immer ein Streitobjekt zwischen den beiden Gewalten. Den Grund dazu legte der Kirchen­vertrag von 1705, in welchem den Katholiken ein Glöckchen auf dem Rathausturm zugestanden wurde. Solange die katholischen Landesherren regierten (bis 1803), bestand scheinbar Ruhe um die Glocke. 

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts kam es wiederholt zu Reibereien zwischen politi­scher Gemeinde und katholischer Kirchengemeinde. Die politische Gemeinde wollte dem schwelenden Zank um die „Lumpen­glocke“ dadurch ein Ende machen, dass sie auf ihre Rechnung ein Glöcklein bestellte, das Ende November 1871 auf dem neuen Rathaus aufgehängt werden sollte. Jetzt brach aber erst recht der Glockenstreit aus. Die katholische Gemeinde befürchtete, dass sie bei dem bevorstehenden Abbruch des alten Rathauses plötzlich kein Geläute mehr hatte. Es folgte nun von beiden Sei­ten ein heftiger Schriftwechsel. Im Jahre 1872 kam es zu einer guten, wohl beide Teile befriedigenden Einigung zwischen den Vertragspartnern. Die politische Gemeinde übernahm das Läuten für die katholischen Beerdigungen. 

Dafür läutete um 11 Uhr beim Todes­fall eines Einwohners das Gemeindeglöcklein für jeden, ohne Ansehen der Konfession. Um ihren guten Willen zu beweisen, schaffte die Gemeinde im Jahre 1888 noch eine zweite, größere Glocke an, die nun künftighin bei katholischen Beerdigungen mit­läutete. Das berüchtigte »Lumpenglöcklein« erklang aber weiter, allerdings jetzt in eigener Regie der Gemeinde, abends um 3/4 11 Uhr noch jahrzehntelang für die nach Hause kehrenden Zecher.
Am Heiligen Abend 1964 um 16 Uhr nahm die ganze Gemeinde Oftersheim Abschied von ihren beiden Rathausglöckchen. Zum letzten Mal ließen sie ihre hellen Stimmen erklingen und riefen die Einwohner zur Feier und Gedenk­stunde zum Waldfriedhof. Vielen Oftershei­mern ging diese Gedenk- und Abschiedsstunde sehr nahe. Mit den zu Beginn des Jahres 1965 ausgebauten Rathausglocken ging eine alte Dorftradition und ein Ab­schnitt der Ortsgeschichte zu Ende.
Die beiden Rathausglocken wurden auf dem Brunnen vor dem neuen Rathaus aufgestellt und so für die Bevölkerung als Erinnerungszeichen erhalten.

(nach "Ein Dorf und seine Geschichte" von Franz Volk)